Das Amtsgericht Tiergarten hat vergangenen Dienstag einen 55-jährigen Familienvater von dem Vorwurf des Besitzes und der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte gem. § 184b Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) freigesprochen.
Erleichtert hört sich Bernd U.* das Urteil an. Das Gericht hatte sich für rund 10 Minuten zur Beratung in ein Beratungszimmer zurückgezogen. Das Lachen der Richterin und den beiden Schöffinnen dran zeitweise durch die massive Zwischentür bis in den Gerichtssaal. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte 2022 Anklage gegen den Mann erhoben, da er eine kinderpornographische Bilddatei über eine Suchmaschine hochgeladen haben soll.
US-amerikanische Plattformanbieter sind dazu verpflichtet, strafrechtlich relevante Sachverhalte an die Nichtregierungsorganisation „NCMEC“ weiterzuleiten. Die Meldung im konkreten Fall erfolgte am 7. November 2021. Einen Tag später hat NCMEC den Vorgang an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden weitergeleitet. Ermittlungsbehörden wenden sich in der Regel an den Anschlussinhaber, der sich über die genutzte IP-Adresse identifizieren lässt. Netzanbieter sind gem. § 10 BKAG verpflichtet, über die benötigten Bestandsdaten Auskunft zu erteilen. Anschließend leitet das BKA das Verfahren an das Landeskriminalamt in Berlin weiter, das rund 10 Monate später am 18. August 2022 einen Vorgang anlegt. Im November 2022 – ein Jahr nach der Erstmeldung – erhob die Staatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen den Mann aus Grünau.
Schon in Vorgesprächen wird deutlich, dass niemand Interesse an einer Verurteilung hat. Allein Anschlussinhaber zu sein, genügt wohl nicht, um einen sicheren Schluss zuzustellen, dass man auch der Täter ist.
Der Angeklagte wurde vor Gericht von dem Berliner Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli verteidigt. Dieser trug vor, dass mangels einer Wohnungsdurchsuchung durch die Staatsanwaltschaft keine ausreichenden Beweise vorliegen. Außerdem habe der Angeklagte insgesamt 6 verschiedene WLAN-Router auf dem 800 Quadratmeter großem Grundstück verteilt, deren Netze auch auf die Nachbargrundstücke reichen. Ein unbefugtes Einhacken eines Dritten sei demnach nicht auszuschließen. Darüber hinaus sei es fragwürdig, ob das betroffene briefmarkengroße miniaturartige Bild überhaupt ein pornographisches Bild darstellen würde. Er forderte Freispruch.
Die Ermittlungsführerin erklärte, dass vorab mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen sei, in welchen Fällen Durchsuchungen durchgeführt werden sollten. Handele es sich lediglich um nur ein Bild und sei der Betroffene nicht einschlägig bekannt, würde regelmäßig von Durchsuchungen abgesehen werden. Für den Fall, dass das Gericht deutlich gemach hätte, dass es zu einer Verurteilung tendiere, war von der Verteidigung ein Aussetzungsantrag vorbereitet. Dieser wäre mit einer möglichen Verfassungswidrigkeit des § 184 b StGB begründet worden. Die Strafhöhe dieser Norm wurde durch eine Gesetzesänderung im Sommer 2021 deutlich angehoben und wird demnach als ein Verbrechen im Sinne von § 12 StGB eingestuft, weshalb eine Einstellung aufgrund von Geringfügigkeit nun nicht mehr möglich ist. Zudem verfügt der § 184 b StGB über keine Regelung zu einem minder schweren Fall. „Diese Entscheidung des Gesetzgebers muss man deutlich hinterfragen“, erklärte Khazaeli.
Der geplante Aussetzungsantrag folgte den Ausführungen eines Richters, der ein Verfahren vor dem Amtsgericht München aussetzen ließ, um von dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG iVm. §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG überprüfen zu lassen. (AG München, Beschl. v. 17.06.2022, 853 Ls 467 Js 181486/21; beim BVerfG 2 BvL 11/22). Der Richter begründete seinen Vorlagebeschluss mit den Argumenten, die Norm stelle einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und sei ein Eingriff in das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 2 GG. Das Fehlen eines minder schweren Falls führt dazu, dass alle Taten, die den Tatbestand des § 184b StGB erfüllen, „über einen Kamm geschert werden“ und somit auch die „relativ unerheblichen“ Fälle mit einer Mindeststrafe von einem Jahr verhängt werden müssen. Außerdem sieht der Münchener Richter in dem knappen Spielraum bei einem Strafmaß zwischen 1 Jahr und 5 Jahren einen Verstoß gegen das Schuldprinzip. Zudem hält er die Neufassung des § 184b StGB nicht mit der grundgesetzlich verankerten Berufsfreiheit (Art. 12 GG) vereinbar, da nunmehr keine Einstellung nach §§ 153, 153a StPO möglich ist und demzufolge auch keine Eintragung in das Führungszeugnis verhindert werden kann.
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